January 2005

RSG Nürnberg History

Es war einmal . . . So beginnen alle Märchen. Wie ein Märchen begann vor 30 Jahren das erfolgreichste Kapitel der Nürnberger Radsportgeschichte. Ein Kapitel, das in diesen Tagen zu Ende geht: Aus der am 19. Dezember 1972 gegründeten Rennsportgemeinschaft (RSG) der beiden Klubs RC 50 Erlangen und „Verein-Sportplatz Nürnberg“ entwickelte sich 1973 die „RSG-Paintco-Franken“, die 1975 zur „RSG Franken Katzwang “ und 1980 zur RSG Hercules Nürnberg“ wurde.

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Im Jahr 1990 kam die Nürnberger Versicherung als Sponsor hinzu, das Team nannte sich seitdem RSG Nürnberg. Daraus entstand 1996 die erste deutsche GS II-Profi-Mannschaft: das Team Nürnberger. Nach der Saison 2002 kam für Nürnbergs Elite-Radler — nach sieben Profi-Jahren — das Aus, weil sich der Hauptsponsor vom Straßenrennsport im Männerbereich zurückzieht. Ein neuer Sponsor ist trotz intensiver Bemühungen nicht zu finden. Künftig sponsert die Nürnberger Versicherung nur noch die Equipe, das Frauen-Team.

Boom in Herpersdorf

Drei Jahrzehnte lang hat die RSG deutsche Radsportgeschichte geschrieben: 32 deutsche Meistertitel, rund 800 große Siege und ein Vize-WM-Titel wurden auf Bahn und Straße erkämpft. Eine Ära geht zu Ende, die den deutschen Radsport nachhaltig geprägt und wieder aus dem Dornröschenschlaf erweckt hat. 1972 hatte nur beim RC Herpersdorf der Radrennsport noch geboomt. Die tradtionsreichen Nürnberger Radsportvereine RV Union, RC Schwalbe, Ring Nürnberger Rennfahrer und Tourenclub Nürnberg existierten zwar zu Beginn der 70er Jahre noch, doch ihre leistungssportbezogenen Perspektiven waren in jenen Jahren mehr als bescheiden. Die wenigen echten Radsporttalente der alten Nürnberger Vereine wechselten deshalb fast alle nach Herpersdorf, wo die Fahrer wie in keinem anderen Nürnberger Verein gefördert wurden.

Um die Situation zu verbessern, besuchte 1970 Joachim Kröniger, damals Straßenamateur beim Ring Nürnberger Rennfahrer, die Nürnberger Vereine und schlug einen Zusammenschluss zu einer „Renngemeinschaft“ vor. In allen vier Vereinen fand Kröniger zwar eine gewisse Zustimmung, meist von den wenigen Aktiven, doch die Vereinsleitungen lehnten ab.

RG mit Erlangen

Die erste Rennsportgemeinschaft (RG) entwickelte sich aus dem Schulsport: 1968 bot Kröniger in den Ferien erstmals eine Neigungsgruppe „Bahnfahren“ an. Nach drei erfolgreichen Rennjahren seiner „Radsportschüler“ fand Kröniger in Kurt Albert vom RC 50 Erlangen einen aufgeschlossenen Partner, um seine Idee der RG doch noch zu verwirklichen: Am 19. Dezember 1972 riefen neun Gründungsmitglieder des Erlanger Vereins und des Vereins „Sportplatz Nürnberg“ die „Renngemeinschaft Franken“ ins Leben. In beiden Jugendklassen war die RG in Bayern tonangebend, wurde Dritter der Vierer-Meisterschaft der A-Jugend und Zweiter in der B-Jugendklasse.

Junge und erfolgreiche Rennfahrer hatte man inzwischen bei der Renngemeinschaft Franken genug, doch nun zeichnete sich ein anderes Problem ab: Die Finanzierung des Rennbetriebs wurde mit steigender Anzahl Aktiver immer problematischer. Man war deshalb gewungen, weitere Trägervereine oder einen Sponsor zu finden. „Allein mit dem Idealismus der kleinen Gruppe der Funktionäre und Betreuer können wir nicht mehr weiterkommen“, stellte Jochen Kröniger 1974 fest.

Als Retter in der Not erwies sich schließlich Ernst Feigl vom RSC Fürth, der Inhaber des Radsporthauses Schertl. Er konnte seinen Verein und den zweiten Vorsitzenden des ARSV Katzwang, Peter Arnold, für die RSG gewinnen: Am 24. November 1973 erhielt die RG mit dem RSC Fürth, dem ARSV Katzwang, dem RC Bavaria Neumarkt, und dem Tourenklub Schwabach, die sich ebenfalls anschlossen, vier weitere Trägervereine. Die vergrößerte Renngemeinschaft nannte sich „RSG Paintco Franken“ — mit dem ersten offiziellen Sponsor in der bayerischen Radsportszene. RSG-Boss Helmut Möckel wurde jedoch von Insidern als „Großmaul“ bezeichnet, als er 1974 verkündete: „Wir werden ein Team von Straßenamateuren aufbauen, das zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen einmalig ist. Später könnte daraus eine Nürnberger Profi-Mannschaft entstehen.“ Er warseiner Zeit um 20 Jahre voraus.

Olympia-Medaille verpasst

Von 1976 bis 1979 ging es bei der RG, die sich nun RSG Franken Katzwang nannte, kontinuierlich bergauf: Mit Friedrich von Loeffelholz, der inzwischen zu Deutschlands besten Straßenamateuren zählte, stellte die RSG einen Olympia-Teilnehmer. Der „Rad-Baron“, wie der blonde Maschinenbau-Student genannt wurde, war jüngster Fahrer des bundesdeutschen Olympia-Vierers, in dem der heutige Bundestrainer Peter Weibel aus Mannheim als Kapitän fuhr. Alle Quälerei reichte im August 1976 in Montreal bei über 30 Grad Hitze nicht zum Erfolg: „Lumpige 15 Sekunden fehlten uns nach 100 Kilometern zur Bronzemedaille“, ärgert sich von Loeffelholz noch heute.

Eines war trotzdem klar: Von Loeffelholz, Dieter Burkhardt und Dieter Flögel — die großen drei des Nürnberger Radsports — waren nicht mehr zu stoppen. Die Radler der RSG räumten auf Bahn und Straße Titel und Siege ab. Nachdem Klaus Burges bei den Amateurstehern und Gerhard Scheller im Amateur-Sprint 1977 erneut deutsche Meistertitel für die „Katzen“ erkämpften, war 1978 der erste Straßentitel überfällig. Allein von Loeffelholz stieg in diesem Jahr bei Straßenrennen 20 Mal als Sieger auf das Treppchen.

Trotz des eindrucksvollen Vierermeister-Titels endete das Rennjahr 1979 für die Katzwanger RSG mit erheblichen Sorgen, denn der immer größer und umfangreicher werdende Rennbetrieb konnte auf der bisherigen Vereinsbasis mit dem ARSV Katzwang nicht mehr finanziert werden. Krampfhaft suchte man deshalb nach einem größeren Sponsor — und fand ihn schließlich in Hercules. Mit Unterstützung des Fahrradherstellers und dem neuen Namen RSG Hercules Nürnberg war eine gute Basis für zehn weitere erfolgreiche Radsportjahre geschaffen.

Zehn Spitzenfahrer

1980 avancierten die Nürnberger zu Deutschlands erfolgreichsten Straßenfahrern. Mit Siegen am „Henninger-Turm“ in Frankfurt und beim „Ernst-Sach-Rennen“ in Schweinfurt verabschiedete sich von Loeffelholz mit 25 Jahren bereits vom Radsport. Ebenso erfolgreich verliefen für die RSG Hercules die Rennjahre 1983 und 1984 mit Siegen bei Klassikern und Etappenrennen. Im Jahr 1987, nach Burkhardts Karriereende, umfasste das RSG-Team zehn Spitzenfahrer.

Nicht leicht war es deshalb 1989, an frühere Erfolge anzuknüpfen, zumal man bei der RSG mit neun weniger bekannten Neulingen in die neue Saison ging. Doch auch die neue junge Gruppe zeigte enormen Ehrgeiz und holte 21 große Siege bei Eintages- und Etappenrennen. Das bisher größte Tief ihrer Geschichte erreichte die RSG Hercules im Jahr 1990, als Jochen Dornbusch, der heutige Frauen-Bundestrainer, als neuer sportlicher Leiter fungierte: Bei der Bundesliga-Gesamtwertung des Jahres reichte es gerade noch für Rang sieben, bei der Vierer-DM, bei der die RSG stets zu den Top-Favoriten zählte, kamen die Nürnberger auf Rang 25 ins Ziel.

Nürnberger als Sponsor

Nach dem Rennjahr 1990 war man mehr als enttäuscht und man machte sich ernsthafte Sorgen um den Fortbestand der RSG. 1991 kam aber frischer Wind aus dem Osten: Nach der Wiedervereinigung konnte RSG-Boss Dieter Burkhardt sechs junge Spitzenfahrer der ehemaligen „DDR“ für die RSG gewinnen: Gerd Audehm, Bert Dietz, Darius Matuszek, Steffen Rein, Mike Weissmann und Stephan Gottschling schlossen sich der RSG an.

Noch viel entscheidender aber war: Die Nürnberger Versicherung stieg als Sponsor bei der RSG ein. Damit hatte ein neues erfolgreiches Kapitel in der Geschichte der RSG begonnen, die weiterhin auch materielle Unterstützung durch die Firma Hercules erhielt. „Wir wollen wieder an der Spitze mitmischen“, verkündete Dieter Burkhardt bei der Vorstellung der neuen Fahrer, die mit ihren Frauen und Freundinnen ihren Wohnort nach Franken verlegten.

Burkhardt hatte nicht zu viel versprochen: Bereits im ersten Jahr legten die jungen Talente der einstigen großen Kaderschmieden in Cottbus und Leipzig dermaßen los, dass bundesweit alle Konkurrenten nur staunten. Steffen Rein setzte auf dem WM-Kurs in Stuttgart die Erfolgsserie als neuer Straßenmeister fort, Gerd Audehm gewann die Rheinland-Pfalz-Rundfahrt, und bei den schweren Klassikern holten die Neuen der RSG mehrere Dutzend Siege. „Die RSG hat in den vergangenen 15 Jahren weiß Gott unzählige bedeutende Sieg errungen, eine Saison aber, in der eine solche Anzahl größter Erfolge erkämpft wurden, hat es noch nie gegeben“, staunte selbst RSG-Gründer Jochen Kröniger nach dem Rennjahr 1991.

Die „Blauen“ schlugen zu

Die „Blauen“, wie man die schnellen Cracks im Trikot der Nürnberger Versicherung bald nannte – schlugen auch in den folgenden Jahren zu. „Die RSG Nürnberg ist nicht nur an die bundesdeutsche Spitze zurückgekehrt, sie zählt auch international zu den besten Amateurteams“, stellte man in Nürnberg nicht ohne Stolz fest. Nach Steffen Rein holten in den folgenden Jahren Stephan Gottschling und Bert Dietz die Einer-Straßen-DM 1992 und 1993, gewannen Klassiker und Etappen-Rennen im In- und Ausland, und auch bei dem seit 1991 stattfindenden Heimspiel „Rund um die Nürnberger Altstadt“ begeisterten sie die fränkischen Fans mit einer dreifachen Siegesserie (Gottschling 1991, Dietz 1992, Rein 1993).

In den Jahren 1991 bis 1995 war die RSG Nürnberg – deren Cracks pro Saison oft über 60 Siege errangen – bundesweit der erfolgreichste Radsportverein, wobei sich inzwischen als bayerische Neuzugänge Thomas Krön aus Strullendorf, Klaus Diewald aus Bogen, Andreas Valenta aus Regensburg und Alexander Kastenhuber aus Bad Reichenhall ebenfalls großartig entwickelten.

Sprung ins kalte Wasser

Nach gravierenden Änderungen des Radsportreglements durch den Weltverband UCI, der 1995 eine Einheitslizenz für nur eine Elite-Klasse einführte, reagierte man in Franken prompt und wagte mit der RSG Nürnberg 1996 den Sprung ins kalte Wasser. „Wir wechseln ins Lager der Profis, denn wir wollen auch künftig Leistungssport auf hohem Niveau betreiben, da bleibt uns keine andere Wahl“, begründete RSG-Boss Dieter Burkhardt seine Entscheidung, die auch der Hauptsponsor großzügig akzeptierte: Als erste deutsche Mannschaft der GS II wechselten die Nürnberger – wieder einmal richtungweisend für alle übrigen Spitzenmannschaften der Amateure – in das Lager der Profis.

Mit dem aus Wiesbaden neu hinzu gekommenen Top-Fahrer Jens Zemke als neuen Kapitän schlugen sich die zehn fränkischen Radrpofis in ihrer ersten Saison recht wacker. Mit konstant guten Leistungen und enormen Einsatz überzeugten die „Blauen“ in den ersten Profi-Jahren alle Skeptiker und überraschten immer öfter mit sensationellen Ergebnissen: Fast hätte es 1999 sogar für einen Weltcup-Sieg für das Team Nürnberger gereicht.

Altstadtrennen als Höhepunkt

Zu den Höhepunkten der vergangenen Jahre zählten für das Team Nürnberger vor rund 100 000 Zuschauern die zwei Siege der Lokalmatadoren Zemke und Schweda (1999 und 2000) beim Rennen „Rund um die Nürnberger Altstadt“, das inzwischen mit internationaler Topbesetzung stattfand. Trotz vier Bergmeistertiteln schwärmt Zemke noch heute: „Das Rennen 1999 war der schönste Sieg meiner Karriere.“

Mit 28 Siegen – 19 davon mit UCI-Status – sowie fünf großen internationalen Bahnerfolgen, die neben Thomas Liese der mehrfache Weltmeister und Olympia-Sieger Jens Lehmann für das Team Nürnberger erkämpfte, konnte man 2001 auf die bislang erfolgreichste Profisaison zurückblicken.

Eine weitere gute Saison schien zu beginnen, als eine Woche vor dem Frankfurter Klassiker am Henninger-Turm die Nürnberger Versicherung ihren Ausstieg als Sponsor nach zwölf Jahren im Straßenrennsport der Männer ankündigte: „Die finanziellen Anforderungen bei der Umsetzung in die Kategorie der internationalen Top-Teams sind explosionsartig gewachsen. Für unser Unternehmen ist es nicht mehr vertretbar, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten“, lautete die Begründung der Unternehmensleitung. Das bedeutete das Ende des Nürnberger Profiradsports bei den Männern.

AUTOR: MANFRED MARR, QUELLE: RADSPORT FORUM