„Nürnberger Rad-Rebellen“ sind endgültig Geschichte

Nach 37 Jahren wurde die RSG Nürnberg aufgelöst – Ihre Siege und die Kämpfe mit dem Verband machten die „Blauen“ berühmt

VON THOMAS SCHARRER

Sie begannen als RSG Katzwang und endeten sportlich als Team Nürnberger. Im Hintergrund stand als Verein immer die RSG Nürnberg. Der wurde nun aufgelöst.

Der letzte Akt ging – völlig untypisch für die RSG Nürnberg – still und leise über die Bühne. Auflösung des Vereins und Tilgung aus dem Vereinsregister, das war`s. 37 Jahre nach ihrer Gründung als RSG Katzwang gibt es den 1980 in Rennsportgemeinschaft (RSG) Nürnberg umbenannten Verein nicht mehr. Ein weiterer Zacken, der aus der Krone des einstmals so stolzen Nürnberger Radsports bricht, auch wenn dies längst nicht mehr so gravierend ist wie der Rückzug der Nürnberger Versicherung vom Team Nürnberger, der 2002 das Ende des Männer-Radsports auf hohem Niveau bedeutete.
„Die RSG ist 1973 gegründet worden, um Hochleistungssport zu betreiben und zu unterstützen. Mit der Auflösung des Männerteams hat sie ihren eigentlichen Zweck verloren, deshalb haben wir uns entschlossen, sie auch aufzulösen“, sagt Dieter Burkhardt, der seit Ende der 70er Jahre in vielen Bereichen maßgeblich am Aufstieg der „Blauen“ beteiligt war. Wohl nicht alle Alt-RSGler können das so pragmatisch sehen. „Wir wussten, dass dieser Tag kommen wird, aber es hat trotzdem sehr weh getan“, sagt Fritz Dotzer, der letzte Vorsitzende der RSG.
Dotzer und seine Familie waren über Jahrzehnte hinweg typisch für das familiäre Geflecht der RSG. Sie waren Fans der Radrennfahrer aus der Anfangs-Ära, wie Klaus Burges, Gerhard Scheller, Friedrich von Löffelholz, Dieter Flögel und Burkhardt; später unterstützten sie die aus der ehemaligen DDR gekommenen Asse Steffen Rein, Bert Dietz oder Stephan Gottschling; und als die einstige RSG Hercules Nürnberg als Team Nürnberger den Sprung ins Profi-Metier wagte, da halfen Dotzer und viele andere Vereinsmitglieder uneigennützig Fahrern wie Jens Zemke, Christian Pfannberger, Thomas Liese oder Andreas Klier. „Wenn ein Renner dringend etwas gebraucht hat, dann sind Leute wie Fritz Dotzer oder Jochen Kröniger quer durch Deutschland gefahren um zu helfen“, erinnert sich Dieter Burkhardt.
Vieles was seit Jahrzehnten im internationalen Radsport gang und gäbe ist, haben die „Blauen“ in ihrer wilden Zeit gegen den Widerstand des Bund Deutscher Radfahrer (BDR) erstritten. Als sich Flögel und Co. beispielsweise 1980 weigerten, bei Einsätzen in der Nationalmannschaft auf die gewohnten Hercules-Räder ihres Sponsors zu verzichten, da flogen sie komplett aus dem Olympia-Kader. Der BDR hatte einen Vertrag mit Peugeot und bestand auf die Benutzung dieser Rennräder. „Na ja,“ erinnert sich Burkhardt, „die Sommerspiele in Moskau sind dann ja ohnehin dem politischen Boykott zum Opfer gefallen. Aber trotzdem hat man uns dann bald erlaubt, unser eigenes Material zu fahren.“
Die 80er Jahre waren die große Zeit der „Nürnberger Rebellen“, wie sie aus einer Mischung aus offener Wut und insgeheimer Achtung genannt wurden. Funktionäre, wie BDR-Sportwart Fritz Ramseier, der Lieblingsfeind der RSG, oder Bundestrainer Peter Waibel, bekamen schon rote Flecken im Gesicht, wenn sie den Namen der aufmüpfigen Rennsportgemeinschaft nur hörten. Weil die Teamleiter der Rivalen von Olympia Dortmund (Hennes Junkermann) oder RSV Öschelbronn (Hans-Michael Holczer) mit dem Verband besser konnten, wurden deren Amateure manchmal bevorzugt – was den Streit erneut befeuerte.

Meister im Abonnement

Sportlich konnte man den „Blauen“ damals kaum in die Suppe spucken. Von Löffelholz, Hans Neumeier, Burkhardt, Flögel, Thomas Freienstein und Werner „Kiko“ Stauff gewannen den Deutschen Meisterkranz mit der schwarz-rot-goldenen Schleife wie im Abonnement. Anfang der 90er Jahre setzten dann Rein, Dietz und Gottschling diese Erfolgsserie fort.
Mit der Einführung der Einheitslizenz im Radsport musste man sich entscheiden, ob man im Konzert der Großen, also bei den Profis, mitmischen wollte, oder sich der Gefahr aussetzte, in der sportlichen Bedeutungslosigkeit zu versinken. Mit der maßgeblichen Hilfe von Wolfgang Leiber aus dem Vorstand der Nürnberger Versicherungsgruppe wagte die RSG 1996 den Sprung ins kalte Wasser. Aber zu diesem Zeitpunkt wurde der deutsche Radsport bereits vom neuen Branchenriesen Telekom regiert, und mit dem Tour-Sieg von Jan Ullrich 1997 erreichte der Hype im urplötzlich radsportverrückten Deutschland seinen Höhepunkt.
Die große Begeisterung ist, wie man weiß, längst zusammengebrochen – zu viele Dopingskandale haben den professionellen Radsport in Deutschland um Lichtjahre zurückgeworfen. Heute gibt es kein deutsches Top-Team mehr, es gibt kaum noch Rennen – und es gibt auch keine Rebellen mehr, die den Laden mal wieder ordentlich aufmischen würden. „Trotzdem glaube ich, dass es in absehbarer Zeit wieder aufwärts geht“ sagt Burkhardt, dessen Sohn Holger beim Honkong-Team Champion System versucht, als Rennfahrer in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Die RSG ist Geschichte. Aber es ist ein starkes Stück Geschichte, auf das die „Blauen“ zurückblicken können.

Nürnberger Nachrichten, 18.01.2011


rebellen

Ein RSG-Trio aus den großen 80er Jahren (von links): Dieter Burkhardt, der 2010 verstorbene RSG-Vorsitzende Jochen Müller und Thomas Freienstein freuen sich über einen der vielen Erfolge.